Eine Gesamtschuld ist die Haftung mehrerer Schuldner einem Gläubiger gegenüber. § 421 BGB regelt die Gesamtschuld dahingehend, dass jeder Schuldner zu einem Teil oder komplett als Leistungserbringer dem Gläubiger gegenüber aufzukommen hat. In den Nachfolgenden §§ 422 – 427 ist festgehalten, dass die Einforderung nur ein einziges Mal bis zur Gänze erfolgt. Kommt einer der Schuldner seiner Verpflichtung nach, erlischt für die übrigen Beteiligten die Haftung.
In ihrem Wesen ist die Gesamtschuld die gläubigerfreundlichste Schuldform, da mehrere Quellen zur Begleichung der Last verpflichtet sind. Nach §§ 422 – 425 BGB ist es Sache des Begünstigten, welcher im Außenverhältnis mit den Schuldnern steht, ob er die Schuld etwa vom zahlungskräftigsten oder geteilt von allen Beteiligten einfordert. Einschränkungen, die die Innenverhältnisse nach § 426 BGB unter den Leistungserbringern regeln, existieren nicht. Zusammen mit dem Entstehungszeitraum ist das beschriebene Außenverhältnis verantwortlich dafür, dass eine gestörte Gesamtschuld entstehen kann, die einen der Gläubiger von seinen Pflichten befreit.
Entstehung der gestörten Gesamtschuld – Fallbeispiel und Auswirkungen
Fallbeispiel: Die Arbeitskollegen K1 und K2 bilden eine Fahrgemeinschaft für den Weg zur Arbeit. Im Falle eines Unfalls durch leichte Fahrlässigkeit lässt sich der Fahrer K1 vom Beifahrer K2 von der Haftung freistellen. K1 verursacht auf der Fahrt einen durch leichte Fahrlässigkeit verursachten Unfall mit der Person S1, welche ebenfalls der leichten Fahrlässigkeit schuldig ist, K2 ist durch geringe Verletzungen als Geschädigter schadensersatzberechtigt.
Problemstellung: Im Normalfall wären beide Fahrer K1 und S1 als Unfallverursacher nach §§ 421 – 425 BGB zu gleichen Teilen Schadensersatzschuldner von K2 als Geschädigtem. Da K1 aber bereits bei Entstehung der Schuld von der Haftung befreit war, ist der Tatbestand einer gestörten Gesamtschuld gegeben. Keiner der Beteiligten kann sich somit auf die normalerweise geltende Rechtsgrundlage berufen, besonders für K2 als Geschädigten unbequem, da die gläubigerfreundlichste Schuldform und somit eine, als sicher geltende Begleichung seiner Ansprüche, durch mehrere Schuldner entfällt.
Lösungsansätze bei gestörter Gesamtschuld – Individuelle Rechtsprechung mit drei Lösungsansätzen
Da eine entsprechende Gesetzesgrundlage im Falle der gestörten Gesamtschuld fehlt, kommt eine individuelle Rechtsprechung zum Tragen. Im genannten Fallbeilspiel entsteht ein Schadensverhältnis zwischen drei Personen – insgesamt stehen daher drei verschiedene Lösungsansätze zur Verfügung, jeweils zu Ungunsten der Beteiligten.
Der erste lösungsorientierte Ansatz fingiert ein Gesamtschuldverhältnis, sodass der privilegierte Schuldner K1 trotz Haftungsausschluss nach § 426 BGB für einen Teil der Schadensersatzansprüche von K2 aufzukommen hat.
Als Grundlage dient die Annahme, dass die Haftungserleichterung lediglich das Außenverhältnis von Gläubiger K2 und Schuldner K1 betreffe und nicht das Innenverhältnis, welches ausschlaggebend für Schadensersatzansprüche einer Gesamtschuld ist. Am ungünstigsten steht nun der Schuldner K1 da, welcher trotz vertraglich abgeschlossener Haftungsprivilegien für die Schadensersatzansprüche mit aufzukommen hat.
Als zweiter Lösungsansatz steht dem Gläubiger K2 eine volle Haftung seitens des zweiten Unfallverursachers S1 zu, da K1 als Schuldner durch den Haftungsausschluss nicht infrage kommt. S1 hätte den vollen Schaden zu tragen, die Möglichkeit eine Teilschuld auf den privilegierten Unfallverursacher K1 abzuwälzen, wird nicht gewährt. Diese Entscheidung geht voll zulasten des zweiten Unfallverursachers S1.
Der letzte Lösungsansatz gesteht dem privilegierten Unfallverursacher K1 durch den Haftungsausschluss eine Schuldbefreiung zu, während der Gläubiger K2 vom zweiten Unfallverursacher S1 den anteiligen Schadensersatz erhält. Begünstigt sind die Schuldner K1 und S1, da diese zum einen in den Genuss der Haftungsprivilegien kommen und zum anderen nicht den vollen Betrag der Schadensersatzansprüche aufzubringen haben.
Je nach Situation kommt einer der drei genannten Lösungsansätze zur Anwendung. Im Falle einer vertraglichen oder gesetzlichen Haftungsprivilegierung folgt die Rechtsprechung am häufigsten dem dritten Weg, da Regressforderungen zwischen den beiden Schuldnern K1 und S1 ausgeschlossen werden, welche kompliziert und zeitraubend geklärt werden müssen. Im Falle einer engen persönlichen Bindung zwischen K1 und K2 würde selten der erste Lösungsansatz zum Tragen kommen, welcher dem dritten Beteiligten S1 die Gesamtschuld zuweist.